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Keine BU wegen Therapie: Werden Personen mit psychischen Erkrankungen systematisch benachteiligt?

Foto von Munkhjin Enkhsaikhan
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In den letzten Jahrzehnten haben mentale Gesundheit und psychischen Erkrankungen und deren Behandlungen in der Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Dennoch stehen Betroffene immer noch vor einigen Problemen, wie der pauschalen Ablehnung bei Anträgen auf privaten Berufs­unfähigkeitsschutz. Wir klären auf, warum das so ist, was sich bei Versicherungsunternehmen ändern muss und was Betroffene dennoch tun können.

Psychische Erkrankungen: Von Berufs­unfähigkeits­versicherern regelmäßig abgelehnt

Wer körperliche Beschwerden hat, geht zum Arzt. Wer psychische Probleme hat, die er oder sie nicht mehr allein bewältigen kann, geht zur Therapie. Zwar sind Therapieplätze gerade für gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland immer noch nicht ausreichend verfügbar. Dennoch ist die Behandlung von psychischen Erkrankungen stückweise akzeptierter und das Bewusstsein dafür gesellschaftlich verbreiteter. Trotz dieser positiven Entwicklung sehen sich Betroffene immer noch einigen strukturellen Problemen ausgesetzt, wie Schwierigkeiten bei der Verbeamtung oder Jobanstellungen, wenn sie in der Vergangenheit eine Psychotherapie in Anspruch genommen haben. Dazu gehört auch die Ablehnung von Anträgen für eine private Berufs­unfähigkeits­versicherung (BU), stellt sie doch einen existenziellen Schutz dar, da staatliche Leistungen im Falle einer Berufs­unfähigkeit nicht ausreichend sind. Explizit auf Letzteres bezieht sich eine aktuelle Petition:

Wer in den vergangenen zwei bis zweieinhalb Jahren in psychotherapeutischer Behandlung war, wird von den meisten Berufs­unfähigkeits­versicherern derzeit abgelehnt. Ein Leistungsausschluss oder Risikozuschlag sind hier tatsächlich meistens nicht möglich. Vor allem der Risikozuschlag als Option wird von Versicherern in der Regel nur bei sogenannten Risikoaktivitäten, wie bestimmten Sportarten oder körperlichen Verletzungen, angeboten.

Warum lehnen BU-Versicherer ab?

Eine Ablehnung der BU-Versicherer liegt jedoch keineswegs in der systematischen Stigmatisierung und Benachteiligung von Personen mit psychischen Erkrankungen und in erster Linie auch nicht daran, dass Versicherer „nur Profit machen wollen“. Versicherungs­unternehmen arbeiten nach Wahrscheinlichkeiten und bestimmten ­versicherungsmathematischen Risikoeinschätzungen. Das heißt: Personen aufzunehmen, die höchstwahrscheinlich aufgrund ihrer Psyche später einmal berufsunfähig werden, ist für den Versicherer und letztlich auch für die Versicherungs­gemeinschaft wirtschaftlich nicht tragbar. Im Jahr 2023 gehen circa 35,5 Prozent der BU-Fälle auf psychische Erkrankungen zurück (Quelle: Morgen & Morgen), im Jahr 2021 waren es noch 33,5 Prozent. Dies macht den höchsten Anteil aller Krankheiten aus.

Wenn man die Berufs­unfähigkeits­versicherung nun für psychische Krankheiten öffnen würde, dann würden die Kostenfaktoren immens steigen, da auch die Leistungsfälle steigen würden. Es würden folglich mehr Gelder für die Auszahlung der Berufs­unfähigkeitsrenten benötigt werden, was höhere Versicherungsbeiträge für alle bedeuten würde – weil Versicherungen nach dem Prinzip einer Gemeinschaft funktionieren. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für andere chronische oder angeborene Erkrankungen mit einem hohen BU-Risiko, wie Krebs, Multiple Sklerose oder Diabetes.

Exkurs: Das Prinzip der Versicherungs­gemeinschaft

Versicherungen sind eine Gemeinschaft: Alle Versicherten zahlen mit ihren regelmäßigen Versicherungsbeiträgen in einen gemeinsamen Topf ein.. Die Höhe der Einzahlungen richtet sich nach dem individuellen Risiko jedes Einzelnen. Kommt es zu einem Schadens- oder Leistungsfall eines Versicherten, werden die Kosten für diesen Fall aus dem gemeinsamen Topf mit den Geldern aller Versicherten bezahlt. So wird das finanzielle Risiko auf die Schultern von vielen verteilt, anstatt, dass der Einzelne für seinen eigenen potenziellen Schaden „spart“. Folglich bedeutet dies auch: Steigt das allgemeine Risiko, steigen auch die Beiträge für alle.

Warum der Staat nicht viel ausrichten kann

Die oben erwähnte Petition richtet sich explizit an Karl Lauterbach, derzeitiger Gesundheitsminister. Die staatliche Entscheidungsmacht ist an dieser Stelle jedoch stark eingeschränkt. Versicherer sind private Unternehmen, die nach eigenem Ermessen wirtschaftlich handeln. Auch der Ausbau von staatlicher Leistung im Bereich Berufs­unfähigkeit ist nicht realistisch. In der Vergangenheit gab es bereits eine sogenannte gesetzliche Berufs­unfähigkeitsrente, die heutzutage jedoch nur noch für Personen gilt, die vor 1961 geboren wurden. Eine staatliche Einmischung in die Berufs­unfähigkeitsvorsorge wäre ein Schritt zurück. Ein „Recht auf Berufs­unfähigkeitsschutz“ gesetzlich durchzusetzen, ist unrealistisch.


Wo die Lösungen stattdessen gesucht werden sollten

Um die Situation im Gesamten zu verbessern und für eine gleichberechtigte Behandlung von psychischen und anderen Erkrankungen im Kontext der Berufs­unfähigkeits­versicherung zu sorgen, besteht Handlungsbedarf in erster Linie bei den Versicherungs­unternehmen, aber auch bei den Leuten selbst.

Bedarf 1: Versicherer müssen sensibler werden

Zwar gibt es einige Versicherer, die bereits jetzt das Thema psychische Vor­erkrankungen differenzierter betrachten. Doch noch zu viele BU-Versicherer sprechen eine pauschale Ablehnung aus. Hier muss die Sensibilisierung erhöht werden – dies bedeutet keine „Lockerung der Gesundheitsfragen“, sondern eine differenzierte Prüfung der spezifischen psychischen Vorerkrankung.

Experten-Meinung:

„Es ist leider noch zu oft so, dass BU-Versicherer pauschal ablehnen, sobald sie das Kreuz bei „psychischen Erkrankungen“ im Antrag sehen. Hier muss die Kommunikation zwischen Versicherer und Antragsteller verbessert werden. Versicherer sollten beispielsweise nach der genauen Diagnose, dem Ausmaß der Erkrankung und den Gründen für eine Psychotherapie fragen. Sie sollten vermehrt den Therapiebericht prüfen und mit dem behandelnden Therapeuten in Kontakt treten. Denn Psyche ist nicht gleich Psyche, und das muss mehr Versicherern bewusster werden.“

Bedarf 2: Sich so früh wie möglich kümmern

Die Berufs­unfähigkeits­versicherung ist eine Risikoabsicherung. Das heißt, sie wird abgeschlossen, für den Fall, dass etwas passiert. Man sollte sich daher so früh wie möglich mit der Existenz- beziehungsweise Arbeitskraftabsicherung auseinandersetzen und sich um eine private BU kümmern, weil man so rechtzeitig alle Risiken absichern kann. Eltern können eine BU beispielsweise für ihre Kinder ab fünf Jahren abschließen, Studierende gelten als generell leicht versicherbar. Natürlich lässt sich dies nicht pauschal darstellen und auch in jungen Jahren spielt der Faktor Vor­erkrankungen eine Rolle. Dennoch ist dies generell bei Versicherungen der beste Ansatz: Je früher, desto besser.


Was Betroffene tun können

Personen mit psychischen Vor­erkrankungen oder einer beendeten psychotherapeutischen Behandlung sollten keinesfalls allein versuchen, eine Berufs­unfähigkeits­versicherung abzuschließen. Betroffene sollten sich an erfahrene Versicherungs­makler und Versicherungsexperten wenden: Sie kennen nicht nur den Versicherungsmarkt, sondern wissen auch, bei welchen Versicherern eine Annahme möglich wäre. Betroffene sollten diese Erfahrung nutzen. Und gerade Personen mit Vor­erkrankungen sollten die Möglichkeit einer anonymen Risikovoranfrage in Betracht ziehen – dies ist in der Regel nur über einen Versicherungs­makler möglich.

Experten-Meinung:

„Es ist zwar theoretisch für jeden möglich, selbst Versicherer zu kontaktieren und einzelne Anträge auf Berufs­unfähigkeitsschutz beim Versicherer direkt zu stellen, jedoch ist dies in den meisten Fällen sehr aufwendig, nicht zielführend und nicht sinnvoll. Vielmehr kann dies sogar eine zusätzliche mentale Belastung darstellen.

Meine Kollegen und ich haben zusammen 20 Jahre Erfahrung in der Vermittlung von Berufs­unfähigkeits­versicherungen – auch trotz Vor­erkrankungen. Wir können bei einer ersten Ablehnung auch ins Gespräch mit den Versicherern gehen und schauen, was man da noch tun kann. Ansonsten beraten wir auch gern zu Alternativen, wie der Grundfähigkeits­versicherung, damit Sie wenigstens grundlegend abgesichert sind.“

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Weiterführende Informationen

Weitere Möglichkeiten, Tipps und Alternativen haben wir Ihnen auf unserer separaten Seite zum Thema zusammengefasst. Dort finden Sie auch unsere Kontaktdaten und die Möglichkeit, über unser Online-Formular eine kostenfreie und unverbindliche BU-Beratung anzufragen.

BU trotz Psychotherapie

Disclaimer: Wir möchten weder der Petition ihre Wichtigkeit absprechen oder sie kritisieren, noch möchten wir das Thema mentale Gesundheit oder psychische Erkrankungen kleinreden. Auch wir unterstützen die Förderung mentaler Gesundheit, den Ausbau von Therapieplätzen und die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Wir möchten an dieser Stelle vielmehr über die Problematik der Berufs­unfähigkeits­versicherung und die Hintergründe aufklären und über Möglichkeiten, Alternativen und Lösungen sprechen.

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Katharina Burnus
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