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Versicherungen verweigern Leistungen: „Das ist aus meiner Sicht Methode!“

Foto von Munkhjin Enkhsaikhan
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Werden Kostenübernahmen kategorisch abgelehnt?

Wenn Rechtsschutz­versicherer die Kostenübernahme verweigern, ist dies zu 90 Prozent nicht richtig. Das behauptete zumindest Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler zu Beginn des Jahres gegenüber transparent-beraten.de. Dagegen wehren sich nicht nur einige Versicherer, sondern auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Dieser teilte mit, dass sich die Zahl der Konflikte zwischen Versicherern und Kunden auf konstant niedrigem Niveau bewege. „Der Anteil der Fälle, in denen es zum Prozess kommt, ist seit Jahren stabil und liegt bei 0,02 Prozent“, so der GDV gegenüber ­versicherungsmagazin.de. Grund genug, noch einmal beim Berliner Rechtsanwalt nachzuhaken.

Nach unserem ersten Gespräch im Frühjahr gab es einige Versicherer, die mit Ihren Aussagen zur Leistungsübernahme beziehungsweise zur Leistungsablehnung nicht einverstanden waren. Lassen Sie uns noch einmal genauer hinschauen. Gegen einen Versicherer wurden zum Beispiel laut der Beschwerdestatistik der BaFin aus dem Jahr 2016 ähnlich viele Deckungsklagen eingereicht wie beim Branchenführer Allianz – obwohl die Allianz mehr als siebenmal so viele versicherte Risiken im Bereich Rechtsschutz­versicherung vorweist. Wie kann es zu einer so hohen Beschwerdequote kommen?

Joachim Cornelius-Winkler: Zunächst einmal muss man festhalten, dass einige Versicherer – besonders die großen wie eben die Allianz oder auch die Huk-Coburg – eher selten auf meiner „Gegnerliste“ auftauchen. Dieses deckt sich auch mit dem, was der Ombudsmann herausgegeben hat [Anm. der Redaktion: Die entsprechende Veröffentlichung ist hier zu finden]. Andere tauchen wiederum häufig auf. Und dieses sind tendenziell eher kleine Versicherer.

Woran liegt das?

Cornelius-Winkler: Dass die Beschwerdequote bei diesen Unternehmen so hoch ist, liegt vermutlich daran, dass die Prämien relativ günstig sind. Und das müssen die Versicherer irgendwie wieder reinholen.

Einige Versicherer haben es sich also regelrecht ins Stammbuch geschrieben, die Leistung bei nicht eindeutigen und bei vor allem kostspieligen Rechtsfällen grundsätzlich abzulehnen?

Cornelius-Winkler: Das ist zu vermuten, ja. Diese Versicherer haben vorgefertigte Muster für ihre Ablehnungsschreiben in der Schublade – wohl wissend, dass der Verbraucher das nicht weiter verfolgen wird. Das hat meines Erachtens Methode! Dass ein Verbraucher, der eine Rechtsschutz­versicherung abgeschlossen hat, die Kosten eines Prozesses scheut – zumal gegen seine eigene Rechtsschutz­versicherung – ist zudem zu erwarten.

Der GDV hält dagegen, dass lediglich in 0,02 Prozent der Fälle eine Deckungsklage von Verbrauchern eingereicht worden sei. Ihre Aussagen würden nicht auf einer empirischen Erhebung basieren, was ja tatsächlich nicht der Fall ist. In unserem ersten Gespräch hatten Sie ja auch betont, dass es sich zunächst um eine persönliche Einschätzung handelt. Warum treten Sie mit so großer Vehemenz in diesem Fall auf?

Cornelius-Winkler: Mir geht es um Transparenz und die Qualität des für den Verbraucher praktisch nicht beurteilbaren Rechtsschutzprodukts und deshalb freut es mich zunächst, dass der GDV seine Zahlen öffentlich gemacht hat. Selbstverständlich lehnen Versicherer teilweise auch zu Recht Versicherungsschutz ab, weshalb die Zahlen noch aussagekräftiger wären, wenn über den Ausgang der Deckungsklagen berichtet würde, also darüber, ob meine persönliche prozentuale Statistik dem allgemeinen Trend entspricht.

Berücksichtigen muss man allerdings auch, dass die Mehrheit der Kunden von dem Kostenrisiko einer Klage gegen den eigenen Rechtsschutz­versicherer absieht und deshalb in der Statistik des GDV gar nicht erst auftaucht, was so auch durch eine Untersuchung der Stiftung Warentest/Finanztest bestätigt wird! Das verwundert nicht, haben die Kunden doch – entsprechend der Werbung der Branche – eine Rechtsschutz­versicherung gerade deshalb abgeschlossen, weil sie sich einen Prozess auf eigenes Kostenrisiko nicht leisten können. Infrage kommt dann nur noch eine Beschwerde beim Ombudsmann, der aber nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze bindend zu Lasten des Versicherers entscheiden kann, vor allem aber in vielen grundsätzlichen Rechtsfragen – von denen es in der Rechtsschutz­versicherung viele gibt – nach seiner Satzung an einer Entscheidung gehindert ist.

Wie verlässlich ist Ihre Einschätzung, dass 90 Prozent der Ablehnungen seitens der Versicherer falsch sind, wenn höhere Prozesskosten zu erwarten sind?

Cornelius-Winkler: Meine Aussagen beruhen auf der Auswertung von circa 1.000 Mandaten der letzten Jahre, dem Feedback von Anwaltskollegen auf zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen und nicht zuletzt meiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Dozent und Fachbuchautor, also der Auswertung von Urteilen. Konzentriert man sich der Einfachheit halber nur auf die BGH-Rechtsprechung der letzten zehn Jahre, lassen sich die von mir genannten Prozentzahlen ohne Weiteres verifizieren, auch wenn ich es natürlich für legitim halte, dass über grundsätzliche Rechtsfragen gestritten wird. Ärgerlich ist eher, dass manche Versicherer – nicht nur in der Rechtsschutzbranche – eine Revision zurücknehmen oder den Anspruch anerkennen, wenn der BGH seine Rechtsansicht erkennen lässt, sodass es nicht zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kommt.

Nicht nachvollziehen kann ich, weshalb der GDV für die Qualität der Regulierungspraxis auf die Bewertung von Kunden abstellen will. Diese sind nämlich regelmäßig überhaupt nicht in der Lage, zu erkennen, ob eine Ablehnung nach dem vereinbarten Bedingungstext und der Rechtsprechung und Literatur gerechtfertigt ist oder nicht. Selbstverständlich weise ich Mandanten deshalb im Einzelfall auch darauf hin, dass der Versicherer zu Recht abgelehnt hat und rate von einer Weiterverfolgung ab.

Die Allianz hält Ihre Aussagen für nicht nachvollziehbar und die Ergo kann Sie nicht bestätigen.

Cornelius-Winkler: Dies stellt keinen Widerspruch zu meinen Aussagen dar, wenn man das Interview genau liest. Ich hatte nämlich deutlich gemacht, dass sich die sogenannte Regulierungspraxis der Versicherer erheblich unterscheidet und die Anzahl der ungerechtfertigten Ablehnungen keineswegs mit der Bestandsgröße, also der Anzahl der Rechtsschutzverträge, korreliert. Meine Einschätzung lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man von der Beschwerdestatistik des Ombudsmanns ausgeht.

Richtig ist, dass die Statistiken in 2016 und 2017 wegen einer Vielzahl von gleich gelagerten Beschwerden im Zusammenhang mit sogenannten Masseschäden (VW-Diesel-Skandal und weitere) an Aussagekraft verloren haben. Es genügt aber, ältere Statistiken auszuwerten. Ich kann und will keine Namen nennen, kann aber sagen, dass sich meine Erfahrungen mit der Beschwerdestatistik des Ombudsmanns decken, das heißt, Gesellschaften, die dort überproportional erwähnt sind, finden sich so auch überproportional auf meiner „Gegnerliste“.

Welche Rolle wird zukünftig die Beratung durch Versicherungs­makler und die Beurteilung von Testunternehmen für den Verbraucher spielen?

Cornelius-Winkler: Der aufgeklärte Verbraucher wird immer mehr realisieren, dass sich die Rechtsschutz­versicherer sowohl im Angebot als auch der Regulierungspraxis unterscheiden und es nicht darum gehen kann, allein nach dem Preis auszuwählen. Für den Makler wird das zersplitterte Angebot die Notwendigkeit einer Spezialisierung mit sich bringen und den Bedarf an verlässlichen Testinformationen erhöhen. Die Versicherer schließlich werden meines Erachtens aufgrund verschiedener Entwicklungen (Legal Tech, „kostenlose“ Rechtsvertretung und ähnliches) den nach wie vor gültigen Kerngedanken des Rechtsschutzprodukts wieder mehr in den Vordergrund stellen müssen und sollten offensiv auch mit nachprüfbaren Zahlen zu ihrer Regulierungspraxis werben.

Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler

Zu Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler

Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler ist Fachanwalt und Lehrbeauftragter für Versicherungs­recht an den Universitäten Hamburg und Münster und der HWR Berlin. Er zählt zu den wenigen bundesweit tätigen anwaltlichen Spezialisten in der Rechtsschutz­versicherung mit zahlreichen Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen und einer umfangreichen Tätigkeit als Dozent im Rahmen der Fachanwaltsausbildung.

Cornelius-Winkler ist Mitglied des Ausschusses Versicherungs­recht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und des Ausschusses Rechtsschutz­versicherung der Rechtsanwaltskammer Berlin. Vor seiner Tätigkeit als Anwalt war er langjährig Schadenleiter einer Rechtsschutz­versicherung, kennt deshalb die Rechtsschutzsparte von beiden Seiten und kann auf eine 30-jährige Erfahrung zurückblicken.

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