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Riester- und Rürup-Rente fällt für viele Sparer niedriger aus – Interview mit Rechtsanwalt Dr. Knut Pilz

Foto von Nina Bruckmann
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Auszahlung im Rentenalter fällt niedriger aus

Einige Versicherungs­unternehmen haben in den vergangenen Wochen den Rentenfaktor gesenkt – mit deutlichen Folgen für Sparer, die privat in ihre Altersvorsorge investieren. transparent-beraten.de hat Fachanwalt Dr. Knut Pilz gefragt, womit Verbraucher in den nächsten Jahren rechnen müssen.

Teil 2 des Interviews: „Ein einziger Satz könnte Klarheit schaffen“

Herr Dr. Knut Pilz, dürfen Versicherer den Rentenfaktor einfach so senken? Wie ist hier die gesetzliche Grundlage, auf der die Gesellschaften handeln?

Dr. Knut Pilz: Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob der Versicherer wirklich einschränkungslos den Rentenfaktor garantiert hat oder sich in den Versicherungs­bedingungen eine Anpassung vorbehalten hat. Nur wenn letzteres vom Versicherer wirksam (!) vereinbart wurde, kann eine Anpassung des Rentenfaktors erfolgen.

Kann man abschätzen, ob derzeit mehrere Versicherer den Rentenfaktor gesenkt haben? Haben Sie derzeit mehrere Fälle zu diesem Thema auf dem Tisch?

Dr. Pilz: Nach unseren Erkenntnissen haben aktuell mehrere Versicherer, darunter auch Branchenschwergewichte, den Rentenfaktor abgesenkt. Vor diesem Hintergrund konnten wir in jüngster Zeit diverse Nachfragen von Versicherungsnehmern und Vermittlern zu diesem Thema bei uns feststellen.

Ist zu erwarten, dass in nächster Zeit weitere Versicherer den Rentenfaktor senken?

Dr. Pilz: Aufgrund der weiterhin sehr schwierigen Anlagesituation für die Lebens­versicherer ist damit zu rechnen, ja. Dafür spricht auch, dass mit der Allianz Lebens­versicherung AG der größte deutsche Lebens­versicherer diesen Schritt bereits gegangen ist, was häufig eine Signalwirkung für den Rest der Anbieter hat.

Gibt es Versicherer, bei denen derzeit nicht damit zu rechnen ist, dass der Rentenfaktor gesenkt wird?

Dr. Pilz: Ich möchte an dieser Stelle nicht über einzelne Unternehmen spekulieren. Im Grundsatz werden die meisten Versicherer allerdings ein Interesse an einer Absenkung des Rentenfaktors haben, da die Kapitalmarktsituation für alle Versicherer sehr ähnlich ist. Allerdings setzt dies voraus, dass der Versicherer bei Abschluss des Renten­versicherungsvertrages sich überhaupt die Möglichkeit einer Absenkung vorbehalten hat. Das unterscheidet sich natürlich von Unternehmen zu Unternehmen zum Teil erheblich.

Der Rentenfaktor

Wenn Versicherer eine Renten­versicherung anbieten, müssen sie ihren Kunden bei Vertragsabschluss die Höhe der späteren Auszahlung in einem bestimmten Umfang garantieren – und zwar unabhängig von Marktentwicklungen und Unternehmensgewinnen beziehungsweise -verlusten. Dies geschieht unter anderem mit dem Rentenfaktor.

Der Rentenfaktor bestimmt, wie hoch die monatliche garantierte Rente zum vereinbarten Rentenbeginn je 10.000 Euro des Vertragsguthabens sein wird. Liegt der Rentenfaktor bei zum Beispiel 25, erhält der Sparer bei einem Vertragsguthaben von 100.000 Euro eine monatliche garantierte Rente von 250 Euro.

Die monatliche Gesamtrente setzt sich zusammen aus der garantierten Rente und einem zusätzlichen Betrag aus der Überschussbeteiligung.

Worauf müssen sich die Versicherungsnehmer langfristig einstellen? Sind in den nächsten Jahren weitere Senkungen zu erwarten?

Dr. Pilz: Zunächst ist davon auszugehen, dass auch bei langfristiger Betrachtung die Versicherungsnehmer jedenfalls nicht wieder mit einer Anhebung des Rentenfaktors rechnen dürften. Überdies spricht viel dafür, dass zu erwarten ist, dass wir mit der aktuellen Rentenfaktoranpassung erst am Anfang einer längeren Entwicklung stehen. Hier hilft den Versicherungsnehmern nur, wenn in ihrem Vertrag zumindest ein „Mindestrentenfaktor“ vertraglich vereinbart ist. Diesen garantierten Rentenfaktor darf der Versicherer auch bei noch so schlechter Kapitalmarktsituation nicht unterschreiten.

Worauf sollte der Versicherungsnehmer achten, wenn er sich dagegen wehren möchte? Gibt es bestimmte Fristen, die gewahrt werden müssen? Reicht es aus, wenn man im ersten Schritt einen Widerspruch beim Versicherer einreicht oder sollte man hier schon einen Fachanwalt einschalten?

Dr. Pilz: Natürlich steht es jedem Versicherungsnehmer frei, sich an seinen Versicherer oder auch an den Ombudsmann zu wenden. Allerdings wird der Versicherungsnehmer hier feststellen müssen, dass er vom Versicherer schnell ein ablehnendes Schreiben erhalten wird. Ähnlich dürfte es sich im Ombudsmannverfahren darstellen, da die Feststellung der Unwirksamkeit einer Anpassung des Rentenfaktors eine komplexe Beurteilung aus dem Bereich des Versicherungs­rechts und der Versicherungsmathematik voraussetzt. Bei solchen Fragestellungen kann der Ombudsmann nach unseren Erfahrungen in der Regel nicht weiterhelfen.

Im Ergebnis bleibt daher nur eine gerichtliche Überprüfung, sodass der Versicherungsnehmer hier auf einen Fachanwalt für Versicherungs­recht, idealerweise mit Erfahrung im Bereich Lebens­versicherungsrecht angewiesen ist. Dabei hat der Versicherungsnehmer zwar keine kurzen Fristen zu beachten, grundsätzlich sollte aber eine Überprüfung der Anpassung des Rentenfaktors zeitnah zum Anpassungsschreiben erfolgen.

Bei einer Klage gegen den Versicherer: Womit kann man als Verbraucher rechnen? Welchen Prozessausgang kann man erwarten?

Dr. Pilz: Zunächst muss man sich bei einer Klage gegen den Versicherer bewusst machen, dass ein solches Verfahren durchaus ein bis drei Jahre dauern kann. Eine Prognose über den Prozessausgang lässt sich dabei nur anhand der konkreten Klausel und der Anpassung des Versicherers machen. Zudem teilen viele Versicherer bestimmte Informationen erst im Prozess, und auch dort manchmal nur, wenn ein entsprechender „Druck“ aufgebaut wird, mit. Von daher sind generelle Beurteilungen der Erfolgsaussichten nicht möglich.

Wer wäre in einem Rechtsstreit überhaupt die Gegenpartei? Der Versicherer oder sogar der Versicherungsberater, der die Police vermittelt hat?

Dr. Pilz: Wenn es allein um die Frage geht, ob der Versicherer den Rentenfaktor anpassen durfte, ist regelmäßig der Versicherer zu verklagen. Allerdings kann es auch Konstellationen geben, in denen zum Beispiel ein Versicherungs­makler aufgrund eines Beratungsverschuldens zu verklagen wäre, etwa wenn er gegenüber dem Versicherungsnehmer den Eindruck erweckt hat, dass der Rentenfaktor vom Versicherer überhaupt nicht angepasst werden kann.

Wie kann ich als Versicherungsnehmer selbst herausfinden, ob Anpassungen des Rentenfaktors seitens der Versicherung überhaupt rechtens sind? Gibt es Klauseln im Vertrag, die darauf Hinweise geben?

Dr. Pilz: Ein Versicherungsnehmer kann in aller Regel nicht beurteilen, ob das Vorgehen des Versicherers rechtmäßig ist. In einem ersten Schritt kann der Versicherungsnehmer in seinem Versicherungsvertrag und in dem Versicherungsschein prüfen, ob der Rentenfaktor garantiert ist oder sich der Versicherer eine Anpassung vorbehalten hat. Auch Beratungsprotokolle können hier eine Bedeutung haben. Die sich daran anschließende rechtliche Beurteilung, insbesondere die Frage, ob die Klausel auf Basis der Versicherer die Anpassung vornimmt, wirksam ist, kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht beurteilen. Gleiches gilt für die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Anpassung erfüllt sind.

Die Versicherer sind in der Zwickmühle: Auf der einen Seite müssen die Renten­versprechen gegenüber den Verbrauchern gehalten werden – auch bei den teuren Altverträgen. Auf der anderen Seite bringt die aktuelle Niedrigzinsphase die Unternehmen in finanzielle Klemme. Welches Vorgehen der Versicherer wäre sinnvoller beziehungsweise fairer für beide Seiten als die Senkung des Rentenfaktors?

Dr. Pilz: Zutreffend ist, dass die Versicherer durch die Niedrigzinsphase vor erhebliche Herausforderungen gestellt sind. Allerdings macht es sich der ein oder andere Versicherer etwas zu leicht, wenn er alles auf die EZB schiebt. Schließlich ist es das ureigene Geschäft eines Versicherers, ein Langlebigkeitsrisiko abzusichern. Mancher Versicherer hat hier schlicht seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Wie ist Ihre Erfahrung: Spekulieren die Versicherer auf einen Vergleich oder lassen es die Unternehmen auf eine juristische Auseinandersetzung ankommen?

Dr. Pilz: Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sagen, dass die meisten Versicherer den Weg durch die Instanzen gehen und erst dann, wenn eine Verurteilung droht, dem Versicherungsnehmer ein Vergleichsangebot machen. Das ist leider bei sehr vielen Versicherern eine altbewährte „Taktik“ und wird bedauerlicherweise auch von so mancher Rechtsanwaltskanzlei sehr häufig praktiziert. Von daher muss der Versicherer oft durch das Gericht „auf den rechten Pfad“ gebracht werden.

Vielen Dank für das Beantworten unserer Fragen!

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