Rechtsschutz­versicherung zahlt nicht: „90 Prozent der Ablehnungen sind falsch!“

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Die Kostenübernahme gehört zu den häufigsten Streitpunkten

Rechtsschutz­versicherer lehnen Kostenübernahmen immer häufiger ab, sodass Verbraucher die Anwaltskosten selbst tragen müssen. Joachim Cornelius-Winkler, Fachanwalt für Versicherungs­recht, hilft Verbrauchern bei Problemen mit ihrer Rechtsschutz­versicherung. Im Interview erläutert er, was Verbraucher tun können, um dennoch einen guten Versicherungsschutz zu erhalten.

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Wie bewerten Sie den Markt der Rechtsschutz­versicherungen im Vergleich zum Markt anderer Versicherungsprodukte?

Joachim Cornelius-Winkler: Die letzte unverbindliche Musterempfehlung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) stammt aus dem Jahr 2012. Und schon zuvor sind immer mehr Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaftsbedingungen feststellbar. Betrafen diese früher nur den Umfang des Versicherungsschutzes, also die Ausschlussklauseln, finden sich jetzt unterschiedliche Regelungen auch beim Versicherungsfall, den Obliegenheiten und dem Einwand fehlender Erfolgsaussichten. Diese sind allerdings teilweise so versteckt, dass sie einem Versicherungs­makler nur dann auffallen werden, wenn er über sehr vertiefte Kenntnisse der Rechtsschutz­versicherung verfügt, weil es sich regelmäßig um Reaktionen auf – aus Sicht der Versicherungswirtschaft – negative Rechtsprechungen des Bundesgerichtshofes (BGH) handelt.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass „die“ Rechtsschutz­versicherung nicht mehr existiert und eine Entscheidung rein auf Basis der Prämie keinen Sinn ergibt. Andererseits muss aber nicht automatisch die teuerste Rechtsschutz­versicherung auch die beste sein, sondern ist eine sehr genaue Analyse des Bedingungswerks ebenso erforderlich, wie eine Prüfung des individuellen Risikos des Kunden. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Kapitalanlagen.

„Ältere Verträge bieten oftmals besseren Versicherungsschutz als neuere Verträge.“

Welche Risiken sollte der Kunde im Rahmen einer Rechtsschutz­versicherung absichern?

Cornelius-Winkler: Für alle Kunden gilt, dass die existenziellen Risiken abgesichert sein sollten, also der Arbeits- und Sozialgerichts­rechtsschutz, der Schadensersatz­rechtsschutz und der Vertrags­rechtsschutz. Der Vertrags­rechtsschutz vor allem wegen eventueller (teurer) ­versicherungsrechtlicher Streitigkeiten zum Beispiel mit der Berufs­unfähigkeits- und Unfall­versicherung. Dann folgen – abhängig von der persönlichen Risikosituation – der Verkehrs­rechtsschutz und der Grundstücks­rechtsschutz. Letzterer ist nicht nur für Vermieter und Mieter relevant, sondern auch für Streitigkeiten im Rahmen einer Wohnungseigentümer­gemeinschaft. Unverzichtbar dürfte eine individuelle Beratung für Kapitalanleger und Firmen sein, weil hier die größten Leistungsunterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaften bestehen.

Welche Fallstricke sehen Sie für Verbraucher beim Abschluss einer Rechtsschutz­versicherung?

Cornelius-Winkler: Hier muss man zwischen dem erstmaligen Abschluss einer Rechtsschutz­versicherung und dem Wechsel zu einem anderen Versicherer oder auf einen neuen Tarif unterschieden. Existierende ältere Verträge bieten unter dem Strich oftmals besseren Versicherungsschutz als neuere Verträge, vor allem weil der Bundesgerichtshof viele Ausschlussklauseln einschränkend ausgelegt oder für unwirksam erklärt hat. Eine erhöhte Deckungssumme oder Leistungserweiterungen wie das Angebot einer Mediation in neueren Bedingungen sind dagegen weniger wichtig, beziehungsweise es ist immer zu prüfen, inwieweit auch teure Streitigkeiten mit hohem Prozessrisiko unter Versicherungsschutz stehen.

„Während einige Gesellschaften kaum prozessieren, bin ich mit anderen permanent beschäftigt.“

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Regulierungsverhalten der Versicherer gemacht?

Cornelius-Winkler: Die sogenannte Regulierungspraxis unterscheidet sich – unabhängig von der Größe der Gesellschaft – erheblich. Während einige Gesellschaften kaum prozessieren oder nur auf den hinteren Rängen in der Beschwerdestatistik der Aufsichtsbehörde (BaFin) und des Versicherungs­ombudsmanns auftauchen, bin ich mit anderen permanent beschäftigt. Dabei lässt sich feststellen, dass vor allem bei höheren Kosten circa 90 Prozent der Ablehnungen falsch oder angreifbar sind und ich circa 70 bis 90 Prozent der Fälle außergerichtlich im Sinne des Mandanten erledigen kann. Von den verbleibenden Fällen dürften wiederum mehr als 90 Prozent von den Gerichten zugunsten des Mandanten entschieden werden.

Die Erfolgsquote ist sicher deutlich höher als in den ebenfalls von mir bearbeiteten Fällen aus der Berufs-, Unfall- und Gebäude­versicherung. Dies liegt daran, dass es in der Rechtsschutz­versicherung eigentlich nie zu Beweisaufnahmen und der Einholung von Sachverständigengutachten mit ungewissem Ausgang kommt, sondern nur um reine Rechtsfragen gestritten wird. Je höher hier der Spezialisierungsgrad des Anwalts ist, umso besser wird er den Mandanten beraten und vertreten können, wozu natürlich auch gehört, von Deckungsklagen abzuraten, wenn diese keine ausreichenden Erfolgsaussichten bieten.

Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass die Rechtsschutz­versicherung nicht zahlt?

Cornelius-Winkler: Das dürfte zunächst der (oft unberechtigte) Einwand sein, der Versicherungsfall sei vor Abschluss des Rechtsschutzvertrages eingetreten. Danach, abhängig von dem jeweiligen Bedingungswerk, der Einwand einer Ausschlussklausel und schließlich – vor allem bei teuren Streitigkeiten – der Einwand fehlender Erfolgsaussichten.

„Für Verbraucher ist eine kompetente Beratung durch einen Versicherungs­makler oder Versicherungsberater unverzichtbar.“

Auf welche Klauseln muss der Verbraucher besonders achten?

Cornelius-Winkler: Wie bereits erwähnt, ist nicht mehr nur auf eventuelle Ausschlussklauseln zu achten, sondern vor allem darauf, ob und wie der Versicherer in seinen aktuellen Bedingungen die Regelungen zum Versicherungsfall gefasst hat. Nur Allgemeine Rechtsschutzbedingungen (ARB), die insoweit den ARB 2010 GDV beziehungsweise den Vorläuferversionen entsprechen, sind aus Versicherungsnehmersicht empfehlenswert, auch wenn es natürlich sein kann – wie es teilweise bereits der Fall ist – dass die Rechtsprechung einzelne Neufassungen für unwirksam hält.

Zu dieser Beurteilung wird allerdings kaum ein Verbraucher in der Lage sein, weshalb eine kompetente Beratung durch einen Versicherungs­makler oder Versicherungsberater unverzichtbar ist, beziehungsweise Firmen sich eventuell zusätzlich auch durch eine spezialisierte Anwaltskanzlei beraten lassen sollten.

Denken Sie, dass bei aktuellen Testergebnissen von Stiftung Warentest und anderen unabhängigen Testern tatsächlich die besten Tarife und Anbieter als Testsieger hervorgehen?

Cornelius-Winkler: Die Stiftung Warentest verfügt über einen qualifizierten Mitarbeiterstab, zieht für Analysen auch externe Berater bei und ist wirtschaftlich von den Anbietern unabhängig beziehungsweise vergibt nicht für Geld Qualitätssiegel und Ähnliches. Die Papierform der Bedingungen (ARB) wird so meines Erachtens gut erfasst und bewertet.

Ein Problem haben aber alle Testinstitute, nämlich die sogenannte Regulierungspraxis. Damit ist das tatsächliche Regulierungsverhalten der Versicherer nach Meldung eines Schadenfalls gemeint und hier sind – bei gleichem Bedingungstext – erhebliche Unterschiede zwischen den Gesellschaften zu verzeichnen. Wie werden rechtliche Zweifelsfragen, von denen es in der Rechtsschutz­versicherung viele gibt, entschieden? Hält man sich an die BGH-Rechtsprechung oder versucht man diese zu negieren oder umzuinterpretieren? Wie viele Deckungsklagen hat die Gesellschaft (prozentual im Verhältnis zur Bestandsgröße) aufgenommen und verloren?

Der letzte Punkt würde eine objektive Einschätzung ermöglichen, weil Versicherer natürlich auch zu Recht Versicherungsschutz versagen können. Über diese statistischen Daten verfügen nur die Versicherer selbst und ich bezweifle leider, dass diese bereit wären, dies zu veröffentlichen.

„Auch bei einem Online-Angebot sollte die Möglichkeit einer individuellen telefonischen und schriftlichen Beratung bestehen.“

Hat man als Verbraucher überhaupt die Chance, mit den üblichen Online-Tarifrechnern einen wirklich guten Tarif zu finden?

Cornelius-Winkler: Das hängt davon ab, wie viel Arbeit in das Programm geflossen ist und wie qualifiziert das betreffende Personal war. Für eine kompetente Beratung im Bereich der Rechtsschutz­versicherung reicht meines Erachtens eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann leider nicht mehr aus. Das heißt, der betreffende Sachbearbeiter sollte auch als Nichtanwalt den entsprechenden Block der Fachanwaltsausbildung absolviert haben und mit den wichtigsten Kommentaren zur Rechtsschutz­versicherung („Harbauer“ und „Prölss-Martin“) umgehen können. Dies liegt daran, dass die Sparte sehr verrechtlicht ist, also ausschließlich über Rechtsfragen gestritten wird und es nicht, wie in der Sach- oder Personen­versicherung, auf Sachverständigengutachten zum Schadeneintritt und zur Schadenhöhe ankommt. Außerdem sollte auch bei einem Online-Angebot die Möglichkeit einer individuellen telefonischen oder schriftlichen Beratung bestehen.

Muss der Versicherungsnehmer nach Eintritt eines Versicherungsfalls diesen tatsächlich selbst telefonisch dem Versicherer melden?

Cornelius-Winkler: Nein, hierzu besteht keine rechtliche Verpflichtung. Der Versicherungsnehmer kann vielmehr nach wie vor selbst einen Anwalt seiner Wahl mit der im Regelfall für ihn kostenlosen Deckungsanfrage beauftragen und gegebenenfalls vereinbaren, dass die Mandatierung unter dem Vorbehalt der Bestätigung des Versicherungsschutzes steht. Dies ist auch deshalb zu empfehlen, weil der Versicherungsnehmer, anders als der Anwalt, die Berechtigung von Ablehnungen oder Einschränkungen des Versicherungsschutzes ebenso wenig beurteilen kann, wie zum Beispiel die Empfehlung, sich auf eine Mediation einzulassen.

Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass es bei der Einschaltung von sogenannten Vertrauensanwälten des Versicherers zu Interessenkollisionen kommen kann, weil diese aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Versicherer im Falle einer (ungerechtfertigten) Einschränkung des Versicherungsschutzes kaum gegen diesen vorgehen werden oder bei der Einschätzung der Erfolgsaussichten ihr Ermessen eher zu dessen Gunsten ausüben könnten.

Wissen sollte der Versicherungsnehmer zumindest, dass ihm nach § 127 Versicherungs­vertrags­gesetz (VVG) in jedem Stadium der Interessenvertretung die freie Anwaltswahl garantiert ist und ihm im Falle einer Ablehnung wegen fehlender Erfolgsaussichten die Rechte nach § 128 VVG zustehen. Dabei handelt es sich um Bestimmungen, die zum Schutz des Verbrauchers vom Gesetzgeber eingeführt wurden.

„Der Kunde muss sich nach entsprechender Beratung entscheiden, welche Punkte ihm wichtig sind.“

Würden Sie dem Satz zustimmen: Der größte Teil der aktuellen Rechtsschutztarife ist oftmals nicht zu gebrauchen?

Cornelius-Winkler: Nein, in dieser Allgemeinheit ist dies nicht richtig und das Problem liegt oft auch darin, dass Tarife in einzelnen Punkten positiv, in anderen negativ zu bewerten sind, weshalb es tatsächlich Versicherungsnehmer gibt, die zwei Rechtsschutz­versicherungen abgeschlossen haben! Solange dies nicht in betrügerischer Absicht erfolgt, also um dieselbe Rechnung zweimal einzureichen, ist dies auch möglich, andererseits natürlich auch nicht unbedingt die Lösung, das heißt, der Kunde muss sich nach entsprechender Beratung entscheiden, welche Punkte ihm wichtig sind und welche nicht. Wer nicht über Kapitalanlagen im nennenswerten Umfang verfügt, kommt mit dem vielfach angebotenen Basistarif aus und ich würde auch immer empfehlen, die Möglichkeit von Selbstbehalten stärker als bisher zu prüfen.

Die Rechtsschutz­versicherer stehen derzeit wieder von der Leistungsseite her unter Druck und können dies wie alle Versicherer wegen der Niedrigzinsphase kaum noch über Kapitalanlagen ausgleichen. Hinzu kommen sogenannte Masseschäden wie zum Beispiel die VW-Dieselfälle, die eine Vielzahl von Kunden betreffen. Bei letzteren ist die Politik gefragt, weil erst mit Einführung gesetzlicher Regelungen, die das Abwarten eines Musterprozesses ohne Nachteile für den Geschädigten erlauben, eine Entspannung auf der Kostenseite eintreten wird.

Ein anderes Problem ist allerdings hausgemacht und damit meine ich die Prämienkalkulation, die abgesehen von der untauglichen Unterscheidung in Arbeitnehmer/Rentner und Selbständige in keiner Weise die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherungsnehmers berücksichtigt, obwohl sich diese über die streitwertabhängigen Anwalts- und Gerichtskosten ganz direkt auf die Höhe der Schadenzahlungen auswirken.

Vielen Dank für das Beantworten unserer Fragen!

Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler

Zu Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler

Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler ist Fachanwalt und Lehrbeauftragter für Versicherungs­recht an den Universitäten Hamburg und Münster und der HWR Berlin. Er zählt zu den wenigen bundesweit tätigen anwaltlichen Spezialisten in der Rechtsschutz­versicherung mit zahlreichen Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen und einer umfangreichen Tätigkeit als Dozent im Rahmen der Fachanwaltsausbildung.

Cornelius-Winkler ist Mitglied des Ausschusses Versicherungs­recht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und des Ausschusses Rechtsschutz­versicherung der Rechtsanwaltskammer Berlin. Vor seiner Tätigkeit als Anwalt war er langjährig Schadenleiter einer Rechtsschutz­versicherung, kennt deshalb die Rechtsschutzsparte von beiden Seiten und kann auf eine 30-jährige Erfahrung zurückblicken.

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