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Ex-CEO von Starbucks: „Als ich die Firma verließ, entwickelte ich schwere Depressionen.“

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Von Nicole Paulus
Veröffentlicht am

Das gesamte Interview als Video (englisch)

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Nicole Paulus

Nicole:
Hallo Howard, schön, dass Du da bist. Bitte stelle Dich erst einmal kurz vor und erzähle uns dann von deinem Tiefpunkt.

Howard:
Ihr kennt wahrscheinlich den schlimmsten Tiefpunkt meines Lebens. Ich hatte einige, aber der gravierendste war, als ich Starbucks Coffee verließ. Ich war Vorsitzender von Starbucks Coffee und war seit 21 Jahren im Unternehmen, als ich beschloss, dass es Zeit für mich war, weiterzuziehen. Ich dachte, ich wüsste, was auf mich zukommt, aber ich hatte es nicht wirklich begriffen. In dem Moment, als ich die Firma verließ, fing ich an, Angstzustände zu bekommen, schwere Angstzustände, die sich in eine Depression wandelten, eine ernsthafte Depression, für die ich tatsächlich zwei Jahre brauchte, um wieder herauszukommen.
Es gab so viele Momente, in denen ich dachte, dass mein Leben nicht mehr lebenswert sei. Es war wirklich so ernst. Ich habe meinen Weg verloren. Ich wusste nicht mehr, wer oder was ich war. Ich lag auf dem Sofa, las mein Buch und fühlte mich elend. Ich saß wirklich da und dachte: “Das ist das Ende. Ich bin durch.” Und plötzlich kamen diese Worte in meinen Kopf: “Howard, dein Lebenswerk wird immer dein Lebenswerk bleiben.” Ich weiß nicht, woher sie kamen, aber sie kamen einfach aus dem Nichts. Ich wiederholte diese Worte für mich. Hey, mein Lebenswerk ist immer noch mein Lebenswerk.
Nun, das warf die Frage auf, was ist denn mein Lebenswerk? Ich beschloss, dass mein Lebenswerk das war, was es schon immer gewesen war, nämlich anderen dabei zu helfen, das zu erreichen, was sie in ihrem Leben erreichen wollten. Und das war im Grunde das, was ich bei Starbucks gemacht hatte. Ich verfolge den Ansatz vom sogenannten “Servant Leadership” (Anm. d. R.: Führungsstil, der sich an den Bedürfnissen und Interessen der Mitarbeitenden orientiert). Mir wurde klar, dass ich Servant Leadership weiterführen könnte, nur auf eine andere Art und Weise. Noch wusste ich nicht, wie genau, aber nach sechs Monaten kam ich langsam wieder aus einer schweren Depression zurück und fing an, produktiv zu werden, indem ich anderen half. Ich hatte meine Mission vor Augen, den menschlichen Geist zu nähren und zu inspirieren. Zuerst bei mir selbst und dann bei anderen. Ich fing an, wieder gesund zu werden. Als mir klar wurde, dass ich immer noch etwas zur Welt beitragen und immer noch ein produktiver Mensch sein könnte, änderte sich alles. Ich habe immer noch Angstzustände und Depressionen, aber es ist leichter und mäßiger geworden und ich kann damit umgehen. Das war also das einschneidendste Erlebnis in meinem Leben, als ich ernsthaft darüber nachdachte, wie ich mein Leben beenden könnte, ohne meiner Familie zu schaden. Das waren die Fragen, die ich stellte. Es war wirklich schwer.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Danke, dass Du das mit uns teilst, das hört sich wirklich hart an. Ich denke, dass es vielen Menschen schwerfällt, so offen mit ihren psychischen Problemen umzugehen. Dabei ist es so wichtig, weil jeder diese Momente irgendwann einmal in seinem Leben durchmacht. Was waren Mittel und Ressourcen, die Dir dabei geholfen haben, sich aus diesem Tiefpunkt zu befreien?

Howard:
Das Kuriose daran ist ja, dass ich schon immer die nötigen Mittel hatte. Wenn ich Hilfe brauchte, dann ging ich zu Beratern oder Psychologen, wann immer ich das Gefühl hatte, dass ich sie brauchte, und sie halfen mir. Ich habe immer Affirmationen verwendet, um meine Probleme zu lösen und zentriert zu bleiben. Und das alles hatte ich einfach wieder vergessen. Es ist erstaunlich, wie wir alles Notwendige zur Verfügung haben und schlicht und weg vergessen, es zu nutzen. Eine Depression ist so schlimm, dass man das Gefühl hat, in einem Loch gefangen zu sein, wo nichts und niemand einem helfen wird. Früher nutzte ich meine Mittel und in dieser Phase nutzte ich sie einfach nicht. Und schließlich, als ich es schaffte, herauszukommen, holte ich mir wieder Hilfe. Ich ging erneut zu Beratern und fing erneut an, meine Affirmationen aufzusagen. Und mit der Zeit half es mir, zu heilen. Angst und Depressionen waren für mich eine lebenslange Reise. Ich kämpfe immer noch damit und habe meine Höhen und Tiefen. Es ist nicht so, dass ich mir Sorgen machen muss, dass es für mich oder meine Familie kein Essen auf dem Tisch, kein Dach über dem Kopf oder Kleidung am Körper gibt. Dafür kann ich sorgen. Aber am schlimmsten fühle ich mich, wenn ich das Gefühl habe, nichts beizutragen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht wichtig bin. Und so musste ich selbst dafür sorgen, wieder wichtig zu sein. Ich fing an, Reden über Servant Leadership zu halten. Dies half mir, mich zu heilen, denn ich erhielt plötzlich Feedback von außen. Das macht einen großen Unterschied in meinem Leben.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Hast du bestimmte Affirmationen, die Du mit uns teilen möchtest?

Howard:
Sicher, die beiden wichtigsten sind für mich:
– Ich bin genug, ich habe genug, ich tue genug.
– Ich liebe mich bedingungslos.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Die sind sehr schön.

Howard:
Ich kannte diese Sätze und ich nutzte sie auch – nur vergaß ich irgendwann, sie zu benutzen. Man begibt sich so tief in diese dunkle Seite seiner Selbst hinein, dass solche Affirmationen einfach nicht mehr aufkommen. Immer wieder bat ich meine Frau um Hilfe. Aber die Wahrheit war, dass sie mir nicht helfen konnte und auch nicht musste. Ich musste mir selbst helfen.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Ja, das muss für alle Beteiligten hart gewesen sein.

Howard:
Es war schwer für sie und es war schwer für mich. Egal wie sehr sie mich liebte und mir helfen wollte, es war nichts, was sie tun konnte. Ich musste es selbst tun. Sie konnte mich ermutigen und mich lieben und mich auf diese Weise unterstützen, aber sie konnte mich nicht aus dieser dunklen Seite von mir herausholen.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Was hast Du daraus gelernt oder was waren Deine größten Erkenntnisse? Und hast Du einen Ratschlag für jemanden, der in einer ähnlichen Situation ist?

Howard:
Was ich gelernt habe, ist, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, seinen Beitrag zu leisten. Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Vorsitzender eines großen Unternehmens wie Starbucks zu sein und fast von Anfang an dabei zu sein. Wisst ihr, ich war all in – voll dabei. Es hat mich komplett eingenommen. Ich war 70 Prozent der Zeit unterwegs. Ich traf mich mit Leuten. Wir haben das Geschäft ausgebaut, es wuchs schnell, es war aufregend. Und es hat eine Menge Spaß gemacht. Du bist für etwas verantwortlich, oder du denkst, dass du für etwas verantwortlich bist. Du bekommst immer wieder tolles Feedback.
Und ganz plötzlich fiel ich von “Ich habe alles” zu “Ich habe nichts”. Ich bekam kein Feedback mehr und ich fühlte nicht mehr diese Verstärkung, weil ich einfach nicht mehr in dieser Arena mitspielte. Und das, nachdem ich das so lange gemacht hatte – ich war ganze 21 Jahre dort. Ich musste diesen Halt wiederfinden und ich musste wirklich lernen, dass mein Lebenswerk immer noch mein Lebenswerk war. Ich würde einfach nicht mehr so viel Stärkung bekommen wie zuvor und ich musste damit fein sein. Ich musste verstehen, dass es ausreichen musste, wenn ich nur einer Person helfen konnte. Und das meist ohne es zu wissen. Ich musste zu dem Schluss kommen, dass ich wusste, dass ich das Richtige tat und die Dinge bekräftigte, an die ich glaubte, und hoffentlich anderen half, dasselbe zu tun und sich besser zu fühlen und die Dinge zu erreichen, die sie im Leben wollten. Als ich endlich akzeptierte, dass ich keine Auszeichnungen und kein großes Publikum mehr bekommen würde und ich all das Zeug nicht haben würde, hat mir wirklich geholfen. Und das habe ich einfach akzeptiert. Und das akzeptiere ich jetzt voll und ganz.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Der eigene Wert ist innewohnend und hängt nicht davon ab, was man erreicht. Wenn überhaupt, hängt es davon ab, mit wem man in Austausch geht und Erfahrungen teilt. Ich denke, das ist eine harte Lektion für viele Menschen, besonders in Zeiten wie heute, wo es so sehr um den Titel und das geht, was man erreicht und wie viel Geld man verdient.

Howard:
Und ich war komplett in dieser Falle gefangen. Und die Affirmation: „Ich möchte den menschlichen Geist nähren und inspirieren, zuerst bei mir selbst und dann bei anderen.“ – Was ich verstanden habe, ist, dass ich niemandem helfen kann, wenn ich nicht im Reinen mit mir selbst bin. Also muss ich erst mit mir selbst klarkommen.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Man muss zuerst seinen eigenen Becher füllen.

Howard:
Ja, das ist richtig.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Gibt es einen Ratschlag, den Du jemandem in einer ähnlichen Situation geben würdest? Wohin würdest Du ihnen sagen, dass sie sich zuerst wenden sollen?

Howard:
Ich würde sagen, hol dir Hilfe. Auch wenn du glaubst, dass du sie nicht wirklich brauchst, suche dir einen Experten, mit dem du sprechen kannst. Sie helfen dir. Und dann finde kleine Dinge, um deinen Selbstwert zu stärken. Erledige kleine Aufgaben. Räum die Garage auf, räum den Schrank auf. Tue Dinge, die dir dabei helfen, dich besser zu fühlen. Helfe jemandem. Geh in die Suppenküche und gib Suppe aus. Wische den Boden. Wenn du die Straße runterläufst, hebe Papier und Müll auf. Tue alles, was dir das Gefühl gibt, wertvoll zu sein. Von der kleinsten Kleinigkeit bis zu den größeren Dingen. Irgendetwas. Und hol dir Hilfe.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Ich denke, die kleinen Dinge summieren sich zu großen Dingen. Und was das Hilfe Suchen angeht: Manchmal erreichen Menschen einen Tiefpunkt und suchen sich Hilfe, aber es passt dann einfach nicht. Aber zum Glück gibt es viele verschiedene Ansätze und Wege, sodass jeder das Passende findet, auch wenn nicht beim ersten Mal. Einfach weitersuchen.

Howard:
Als ich mir damals psychologische Hilfe suchte, war ich auch bei einigen Leuten, mit denen es nicht gepasst hat. Eine Person hörte nur zu, ohne jegliche Kommentare zu machen. Doch ich brauchte Interaktion. Dann fand ich jemanden, der gut darin war, eine Konversation zu führen und Feedback zu geben. Erstaunlicherweise habe ich lange nicht mehr mit ihr gesprochen. Vor einigen Monaten fühlte ich mich niedergeschlagen und habe sie direkt angerufen und sie hat mir wieder direkt geholfen, weil es eine Interaktion war und das war es, was ich brauchte.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Ich denke, das ist auch ein Teil von Servant Leadership, diese Idee, dass man es nicht alleine machen muss, dass wir in Gemeinschaft miteinander sind. Und wenn du an diesem Tiefpunkt bist, fühlst du dich, als wärst du der Einzige auf der Welt, der so fühlt, aber es gibt so viele Menschen, die genauso fühlen und die das auch überwunden haben. Allein zu wissen, dass jemand anderes gekämpft hat oder dass jemand anders helfen kann, reicht manchmal schon aus. Noch ein Grund, warum wir darüber sprechen.

Howard:
Versucht, Geschichten anderer Menschen zu finden, mit denen ihr euch identifizieren könnt. Und das hilft wirklich, hilft mir heute noch. Ich lese gerade ein Buch von Albert Brooks über das Leben und die zweite Lebenshälfte, wenn man dieses Feedback nicht mehr bekommt. Er spricht davon, dass man so sehr an Erfolgserlebnisse hängt und wie man sich davon befreit. Nach einer Weile machst du wieder etwas Großartiges und bekommst tolles Feedback und drei Tage später ist dieses Gefühl weg und jetzt suchst du nach etwas anderem. Es ist wie diese Droge, die man immer bekommen will, diese Wohlfühldroge, die nicht wirklich existiert. Die einzige Person, die dir hilft, dorthin zu gelangen, bist du selbst. Und du musst selbst um Hilfe bitten, um dorthin zu gelangen.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Ja, und diese Beziehung zu sich selbst aufzubauen, weil wir unser ganzes Leben lang in dieser Beziehung sind. Es lohnt sich also, sich darum zu kümmern, diese zur stärksten Beziehung zu machen, die man hat.

Howard:
Ja, genau.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Letzte Frage, wenn Du vor einem ähnlichen Moment stehen würdest, würdest Du etwas anders machen oder würdest Du es genauso angehen – zum Beispiel, Dir Deinen Lebensweg nochmal bewusst machen oder die Mittel und Affirmationen verwenden, die Du bereits hast. Gibt es noch etwas, das Du anders machen würdest?

Howard:
Mit jemandem zu sprechen, das funktioniert für mich gut. Das ist mein Leben, das ist, wie ich existiere. Kommunikation ist mir sehr wichtig. Jemanden zu haben, der zuhört, gut Feedback gibt und gute Fragen stellt. Es hilft mir zu sehen, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt. Ich bin nicht gut allein. Ich kann meine Affirmationen verwenden und sie helfen mir, aber ich bin wirklich am besten, wenn ich Feedback von jemand anderem bekomme und im Austausch bin.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Ja, wir sind soziale Wesen, das vergessen wir manchmal.

Howard:
Nun, nicht jeder ist so. Das kann nicht jeder. Aber für mich funktioniert genau das am Besten.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
An welchem ​​Punkt hast Du das Gefühl: „Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem ich mir Hilfe suchen muss“? Machst Du das relativ früh oder wartest Du bis zu einem bestimmten Punkt?

Howard:
Wenn ich eine Woche lang nur schlechte Tage habe, dann weiß ich, dass ich etwas tun muss.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Das ist sicherlich hilfreich für die Leute, um das Ganze ins Verhältnis zu setzen. Denn manchmal weiß man nicht, wann man aktiv werden sollte oder es vergehen Monate, ohne dass man es merkt. Je länger man wartet, desto normaler wird es und desto schwieriger ist es, aktiv nach Hilfe zu fragen, weil man das Gefühl hat, es würde sowieso nie enden.

Howard:
Ja, man denkt: “So wird dein Leben von jetzt an sein, es wird schrecklich, dein Leben ist nicht lebenswert” und all diese Dinge. Wenn ich jetzt merke, ich habe eine Woche lang nur schlechte Tage, dann hole ich mir Hilfe. Ich weiß nicht, woher diese schlechten Gedanken kommen, ich wünschte, ich wüsste es. Aber tue ich nicht, sie tauchen einfach auf. Jeder Tag ist vernebelt und es gibt nie Sonne.

Howard Behar
Nicole Paulus

Nicole:
Vielen Dank, dass Du Deine Erfahrungen geteilt hast. Ich hätte nicht geahnt, dass das in diese Richtung gehen würde. Ich fühle mich inspiriert und hoffe, dass es anderen Menschen dabei hilft, sich auf ihrem eigenen Weg zur psychischen Gesundheit unterstützt zu fühlen.

Howard:
Danke für die Einladung, ich weiß das zu schätzen.

Howard Behar
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